Beitrag von René Gräber
Es gibt (nach Jahren) wieder mal einen neuen „Naturheilkunde-Skandal“!
Ein pflanzliches Heilmittel (Iberogast), das rezeptfrei in der Apotheke bezogen werden kann, scheint für den Tod durch Leberversagen eines Anwenders verantwortlich gemacht zu werden.
Und das scheint (wieder einmal) Wasser auf die Mühlen der Gegner der Naturheilkunde und Alternativmedizin sein.
Das Problem ist hier, dass dieses Produkt, Iberogast, das von der inzwischen von Bayer aufgekauften Firma Steigerwald „erfunden“ wurde, von eben dieser besagten Firma Bayer übernommen und weiter vertrieben wurde und wird.
Und Bayer ist nun wirklich keine Pharmafirma, die Naturheilmittel in den Mittelpunkt stellt. Aber mit Iberogast hat die Firma einen „Blockbuster“ im Bereich der OTC-Präparate, das umsatzstärkste Produkt in diesem Bayer-Sortiment.
Die entscheidende Frage ist: Wer oder was ist schuld am Tod dieses Iberogast-Anwenders?
Dieses Naturheilmittel oder aber der „verantwortungslose, auf Profit orientierte Umgang von Bayer“, wie manche das mittlerweile behaupten?
Bevor ich zu dieser Frage komme, erst einmal zu der Frage:
Was ist Iberogast eigentlich genau?
In Kürze: Bei dem Präparat handelt es sich um eine Kombination aus Extrakten von neun verschiedenen Pflanzen. Eine dieser Pflanzen ist das Schöllkraut, welches allerdings schon seit langer Zeit dafür bekannt ist, dass seine Alkaloide leberschädigende Eigenschaften haben. Ein genaueres Porträt dieses Präparats habe ich hier veröffentlicht: Iberogast gegen Magen-Darmbeschwerden.
Als altes und „bewährtes“ Präparat gegen Reizmagen, Gastritis, Reizdarm etc. (ohne sonst nennenswerte Nebenwirkungen!) erscheint dieser Todesfall ein überraschender Ausnahmefall zu sein.
Oder vielleicht doch nicht so überraschend?
Iberogast und die Kontroverse um das Schöllkraut
Das Vorspiel für diesen Todesfall begann vor einigen Jahren. Im Jahr 2008 schickte das BfArM ein Rundschreiben[1] an alle pharmazeutischen Unternehmer, ein Bescheid, demzufolge die Zulassung aller Schöllkraut-haltigen Arzneimittel mit einer Dosierung von mehr als 2,5 Milligramm Schöllkraut-Extrakt pro Tag mit sofortiger Wirkung widerrufen wurde. Grund hierfür waren lebertoxische Eigenschaften von Schöllkraut und entsprechende Reporte dazu.
Zu diesem Zeitpunkt gab es noch die Firma Steigerwald, die im Jahr 2013 von Bayer „geschluckt“ wurde. Als Steigerwald vom BfArM aufgefordert wurde, den Beipackzettel von Iberogast mit entsprechenden Warnhinweisen zu versehen, weigerte sich Steigerwald. Begründung: Die in Iberogast enthaltene Menge an Schöllkraut-Extrakt überschreitet nicht die 2,5 Milligramm Grenze. Als Bayer Produkt und Firma übernahm, übernahm sie auch die verstockte Haltung in Bezug auf den Warnhinweis.
Im Jahr 2017 forderte das BfArM Bayer erneut auf, die Warnhinweise für ihr Produkt in den Beipackzettel aufzunehmen, wogegen Bayer jedoch klagte.
Im Jahr 2018 war es dann soweit. Denn es gab neue Fälle von Leberschädigungen, die im Zusammenhang mit dem Einsatz von Iberogast beobachtet worden waren. Und einer dieser Fälle war ein Leberversagen, der eine Lebertransplantation notwendig machte, was letztlich tödlich endete[2]. Daraufhin knickte Bayer ein und erklärte sich bereit, die entsprechenden Warnhinweise in den Beipackzettel aufzunehmen.
Interessant ist hier, dass dieser Tod, der in einem mehr oder weniger direkten Zusammenhang mit der Einnahme von Iberogast stand, kaum Wellen geschlagen hat. So wie die schulmedizinisch ausgerichteten Medien gestrickt sind, wäre dies doch ein gefundenes Fressen gewesen, diesen Fall als Beweis für die Gefährlichkeit von Naturheilmitteln auszuschlachten. Aber dieses Festival blieb aus. Warum nur?
Jetzt, im Juli 2019, gibt es einen erneuten Todesfall aufgrund der Einnahme von Iberogast. Auch hier reagiert die Presse eher verhalten. Selbstverständlich dürfen die schulmeisterlichen Hinweise nicht fehlen, dass natürliche Mittel doch nicht so „sanft“ und „unbedenklich“ sind. Aber die meisten diesbezüglichen Beiträge machen sich erst einmal Sorgen um den Ruf der Firma Bayer.
Aber auch der Vorwurf, der Bayer gemacht wird, zeigt nur zu deutlich, dass die Schreiber sich kaum mit der Materie auseinandergesetzt haben. Denn der Vorwurf lautet, dass ein frühzeitiges Aufnehmen der Warnhinweise in den Beipackzettel den Tod des Patienten im Jahr 2018 hätte verhindern können. Und jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft Köln gegen Bayer, da der jetzige Todesfall möglicherweise hätte ebenfalls vermieden werden können, wenn das Unternehmen vor der leberschädigenden Wirkung von Iberogast gewarnt hätte.
Ökonomisch geduldete Nebenwirkungen
Die Aussagen über die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft sind schon deshalb kaum verständlich, da spätestens seit dem Jahr 2018 nach dem ersten Todesfall die entsprechenden Warnhinweise in den Beipackzettel aufgenommen worden sind. Und auch der Todesfall im Jahr 2018 ist nicht ausschließlich der Tatsache zu verdanken, dass es bis zu diesem Zeitpunkt diese Warnhinweise nicht im Beipackzettel gab. Denn die Lösung des Problems ist viel einfacher als der Aufruhr in den Medien zu glauben scheint.
Es ist schwer für die Medien, bei diesem Todesfall beziehungsweise Todesfällen Bayer eine Absolution zu erteilen. Das Problematische dieser Situation ist, dass man nicht einfach auf die „bösen Heilpflanzen“ zeigen kann, um den wahren Schuldigen für die Todesfälle zu finden. Denn wären die bösen Heilpflanzen die wahren Schuldigen, warum vertreibt Bayer dann so ein „Unkraut“? Und das auch noch in einem so großen Ausmaß? Immerhin ist das Produkt ein OTC-Blockbuster!
Die Medien kommen also nicht umhin, die Firma für einen schludrigen Umgang mit Nebenwirkungen und Warnhinweisen zu tadeln.
Die mehr alternativmedizinisch ausgerichteten Medien machen einen ähnlichen Fehler, nur mit umgekehrten Vorzeichen. Hier ist der Pharmariese wieder einmal schuldig, was dann noch durch die Aufzählung einer Reihe von weiteren Skandalen (Lipobay[3], Glyphosat[4], Antibabypille Yasmin, Koate[5], Xarelto[6]) belegt werden kann.
Aber auch in dieser Ecke kann man nicht verleugnen, dass Produkte mit Schöllkraut Leberschäden verursachen können. Deshalb folgert man auch hier, dass „der Hersteller zu lange gewartet hat, bis er den Beipackzettel angepasst hat“[7], ein Standpunkt, den angeblich auch die ermittelnde Staatsanwaltschaft teilt.
Mir dagegen fällt es extrem schwer zu glauben, dass Warnhinweise Nebenwirkungen und tödliche Wirkungen verhindern können. Wenn Warnhinweise dazu in der Lage wären, dann dürfte es keine Nebenwirkungen und medikamentös verursachte Todesfälle mehr auf diesem Planeten geben. Denn die pharmazeutischen Produkte der Schulmedizin enthalten alle einen Beipackzettel, der für die Warnhinweise und Aufzählung der Nebenwirkungen eine Portion Extrapapier benötigt. Die Pharmaindustrie ist sogar aus juristischen Gründen bereit, extrem seltene Nebenwirkungen in den Beipackzettel aufzunehmen, um sich juristisch abzusichern.
Von daher ist es mir unverständlich, warum Bayer die leberschädigende Eigenschaft von Schöllkraut und den entsprechenden Warnhinweis nicht schon früher und freiwillig mit in den Beipackzettel aufgenommen hat. Ich glaube, dass man bei Bayer davon ausgegangen ist, dass diese Nebenwirkung höchstens unter hochdosierten Gaben auftritt, nicht aber in den Konzentrationen, wie sie bei Iberogast vorliegen. Da wollte man wohl keine schlafenden Hunde wecken?
Aber genau aus diesem Grunde, warum andere Firmen auch die kleinste Nebenwirkung in den Beipackzettel aufnehmen, gibt es jetzt die Ermittlung seitens der Staatsanwaltschaft.
Oder mit anderen Worten: Hätte Bayer oder seinerzeit Steigerwald diesen Warnhinweis in den Beipackzettel aufgenommen, dann hätte man sehr wahrscheinlich nicht die Todesfälle verhindern können, aber die Ermittlung der Staatsanwaltschaft. Während die Todesfälle vielleicht gar nicht so tragisch zu sein scheinen (jedenfalls hält sich das Bedauern der Presse in Grenzen), ist eine Ermittlung gegen Bayer schon eine kleine Sensation.
Was lernen wir daraus?
Warnhinweise im Beipackzettel dienen nicht dazu, Todesfälle, sondern bei Todesfällen entsprechende Ermittlungen zu verhindern.
Die überflüssigen Todesfälle von Iberogast
Nachdem wir gesehen haben, dass sich Schulmedizin, Presse, Alternativmedizin etc. an fehlenden Warnhinweisen in Beipackzetteln festbeißen und fälschlicherweise zu glauben scheinen, dass Warnhinweise Todesfälle verhindern können, ist es an der Zeit, eine recht einfache Lösung vorzuschlagen, die leider für die betroffenen Verstorbenen zu spät kommt.
Ich hatte in meinem bereits oben erwähnten Beitrag zu Iberogast ausgeführt, dass Steigerwald, der ebenfalls die Nebenwirkungen von Schöllkraut kannte, ein sehr ähnliches Mittel „in der Schublade“ hatte, bei dem drei der neun Pflanzen fehlten, inklusive Schöllkraut.
Und die angeblich gemachten Studien zu dieser neuen Kombination zeigten praktisch die gleiche Wirkung wie die alte Kombination mit neun Pflanzen. Sowohl Steigerwald, als auch Bayer entschieden sich gegen die Umstellung auf dieses neue Präparat. Gründe hierfür dürften wohl ähnlich gelagert sein wie die Gründe, die die Nennung der Warnhinweise im Beipackzettel verhinderten: Zu viel Arbeit für einen Vorgang, der keine Umsatzsteigerung versprach. Zudem ging man davon aus, dass Leberprobleme unter so geringen Dosierungen nicht zu erwarten sind. Warum also schlafende Hunde wecken? Ach ja, wir hatten das ja schon mal.
So fällt es weder der Presse, der Schulmedizin und vielen Vertretern der Alternativmedizin auf, dass die Entfernung von zumindest Schöllkraut aus diesem Mix die vielversprechendere Variante ist, Nebenwirkungen plus Todesfälle zu vermeiden und nicht die lächerliche Angabe von Warnhinweisen, deren verhindernde Wirkung einzig und allein darin besteht, dass die Patienten das Präparat überhaupt nicht mehr nehmen.
Fazit
Wir haben wieder einmal zwei Todesfälle. Beide Todesfälle gehen auf das Konto der Firma Bayer und gleichzeitig auf das Konto von einem Naturheilmittel (Iberogast), welches von Bayer vertrieben wird.
Angeblich sollen fehlende Warnhinweise, die aber spätestens seit 2018 auf dem Beipackzettel angegeben sind, für beide Todesfälle verantwortlich sein. Es ist wenig einsichtig, warum ein im Jahr 2018 fehlender Warnhinweis für einen Tod aus dem Jahr 2019 verantwortlich sein soll?
In diesem Zusammenhang ist es schwer, das Naturmittel als den einzigen Übeltäter zu verdammen. Denn der Übeltäter würde dann seit etlichen Jahren vom Komplizen Bayer unter die Leute gebracht werden.
Und damit wäre Bayer ein ebenso großer Übeltäter. Da verlegt man sich lieber auf Nebenschauplätze, wie zu spät angegebene Warnhinweise etc., was mit den Ursachen nichts zu tun hat, aber die Firma Bayer auch nicht in eine so belastende Situation bringt. Denn die hat schon genug Dreck am Stecken, wenn man sich die Skandale der vergangenen Jahre anschaut.
Und von der alternativmedizinischen/naturheilkundlichen Seite wird genau das gleiche falsche Argument aufgegabelt, um jetzt mal so richtig gegen die Pharmaindustrie zu schießen.
Eine solche Vorgehensweise kennen wir sonst nur von Schulmedizin, Presse und Pharmaindustrie, wenn ein Todesopfer zu beklagen ist, weil jemand unter einer naturheilkundlichen Therapie Schaden genommen hat oder zu Tode gekommen ist.
In beiden Fällen werden Ausnahmefälle hochstilisiert zu Regelfällen, die die Verkommenheit der jeweils anderen Seite dokumentiert.
Ich glaube nicht, dass das Breittreten von fragwürdigen Argumenten dem Ansehen der Naturheilkunde zu neuem Glanz verhilft.
QUELLENHINWEIS: naturheilt.com