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Der weltbekannte Investigativ-Journalist Seymour Hersh hat eine detailreiche und präzise Recherche vorgelegt. Sein Ergebnis: Die USA haben mit NATO bzw. norwegischer Unterstützung Nord Stream gesprengt.
Monatelang hat Seymour Hersh recherchiert. Am Mittwoch ließ der Pulitzer-Preisträger von 1970 die Bombe platzen: Die USA haben den Anschlag auf die Nord Stream Pipelines verübt. In einer verdeckten Aktion, so das Ergebnis der Recherche, haben die Vereinigten Staaten unter dem Deckmantel NATO-Übung BALTOPS 22 Bomben gelegt. Einige Monate später setzte die norwegische Marine eine Sonarboje ab, um damit diese zu zünden.
„Kriegshandlung“
Schon im Dezember 2021 sei eine entsprechende Task Force unter der Leitung von nationalen Sicherheitsberaters der USA, Jake Sullivan, gegründet worden. Hersh beschreibt monatelange Diskussionen zwischen dem Weißen Haus, der CIA und dem Pentagon.
Wir erinnern uns: Bei einer Pressekonferenz mit Olaf Scholz sagte Joe Biden am 7. Februar 2022: „Wenn Russland einmarschiert, dann wird es Nord Stream 2 nicht mehr geben. Wir werden dem ein Ende setzen.“ Die Task Force hat zu dieser Zeit bereits zwei Monate gearbeitet. Wohl war auch schon der Plan ausgearbeitet, den Hersh beschreibt: Tiefseetaucher einzusetzen, um eine Explosion entlang der Pipeline auszulösen. Schon Anfang 2022 habe die CIA an Sullivan gesagt: „Wir haben eine Möglichkeit, die Pipelines zu sprengen.“
Die Marine schlug vor, ein neu in Dienst gestelltes U-Boot einzusetzen, um die Pipeline direkt anzugreifen. Die Air Force diskutierte den Abwurf von Bomben mit verzögertem Zünder, die aus der Ferne gezündet werden könnten. Die CIA argumentierte, dass, was auch immer getan würde, es verdeckt geschehen müsse. Allen Beteiligten war klar, was auf dem Spiel stand„, heißt es in dem Bericht mit dem Titel „How America Took Out The Nord Stream Pipeline“. „Das ist kein Kinderkram“, zitiert Hersh seine Quelle. „Wenn der Angriff auf die Vereinigten Staaten zurückgeführt werden könnte, ‚ist das eine Kriegshandlung’“.
Widerstände, die innerhalb der Geheimdienste erheblich gewesen sein sollen, seien im Anschluss an den russischen Einmarsch in der Ukraine im Februar 2022 aber ausgeräumt worden. Nach mehr als neun Monaten der Planung, hatte sich Biden entschieden die Pipelines zu sabotieren. Während der Planungsphase ging es jedoch nicht darum, ob die Operation durchgeführt werden sollte, sondern wie sie durchgeführt werden kann, ohne dass klar war, dass die USA dahinterstecken.
Norwegische Marine involviert
Norwegen wurde zur Basis der Operation. Es sei die „perfekte Basis“ gewesen, so Hersh. Nicht nur aufgrund des NATO-Oberbefehlshabers Jens Stoltenberg, ein „überzeugter Anti-Kommunist“ „ein Hardliner in Sachen Putin und Russland“, mit amerikanischer Unterstützung wechselte er von seinem norwegischen Ministerposten (Stoltenbergs Partei sind die Sozialdemokraten) zum NATO-Posten. Er „genießt volles Vertrauen“, so Hersh. Seine Quelle sagt: „Er ist der Handschuh, der in die amerikanische Hand passt.“
Die US-Tiefseetaucher setzten während der NATO-Übung BALTOP22 im Juni die Bomben. Weil das Weiße Haus aber nicht wollte, dass die Pipelines während der Übung in die Luft gehen, änderte man noch den Plan:
„Am 26. September 2022 warf ein P8-Überwachungsflugzeug der norwegischen Marine bei einem scheinbar routinemäßigen Flug eine Sonarboje ab. Das Signal breitete sich unter Wasser aus, zunächst auf Nord Stream 2 und dann auf Nord Stream 1. Wenige Stunden später wurde der Hochleistungs-C4-Sprengstoff ausgelöst und drei der vier Pipelines wurden außer Betrieb gesetzt. Innerhalb weniger Minuten konnte man sehen, wie sich Methangas, das in den stillgelegten Pipelines verblieben war, an der Wasseroberfläche ausbreitete, und die Welt erfuhr, dass etwas Unumkehrbares geschehen war.“
Norwegens Medien machen bisher keinen Mucks zur journalistischen Bombe.
Der Druck auf die Ampel-Regierung könnte jetzt den Siedepunkt erreichen. Von allen Seiten wird nach Aufklärung gerufen. Schweden hält bereits seit Monaten die Untersuchungsergebnisse zurück, die deutsche Regierung spricht über ihre Erkenntnisse ebenfalls nicht, gibt sie sogar dem Bundestag nicht weiter. Sahra Wagenknecht stellt die Preisfrage: „Wessen Interessen vertritt die Bundesregierung eigentlich?“
Und auch die Attacken gegen Seymour Hersh, der 1969 die US-Kriegsverbrechen in Vietnam aufgedeckt hatte, gehen bereits los. Vor vielen Jahrzehnten war Hersh stets im Visier der Republikaner, gerne nannte man ihn schon damals „Verschwörungstheoretiker“. Nach der Veröffentlichung war es aber für einige Stunden auffällig ruhig im Mainstream. „T-Online“ rückte zunächst „aus Washington“ aus. Dort konnte man dann über eine „steile These und seine offensichtlichen Schwächen“ lesen.
Eine journalistische Schwäche hat die Enthüllung tatsächlich: Hersh stützt sich nur auf eine Quelle, dafür schildert er die Sabotageoperation allerdings präzise und detailreich. Dem früheren Starreporter der „New York Times“ und des „New Yorker“ dürfte bewusst sein, was er mit diesem Text auslöst. Es sollte sich also vor der Veröffentlichung sicher gewesen sein, dass die Story faktisch richtig ist.
Das Weiße Haus und die CIA bestreiten die Vorwürfe. Die „Behauptungen“ seien „frei erfunden“ und völlig falsch“.