Beitrag von der Webseite DIVSI
Für die Realisierung ist Aktivität der Bürger ebenso wichtig wie staatlich-institutionelle Mitgestaltungschancen.
Von Gabriele Buchholtz
Digital kommunizieren wir anders als früher. So viel steht fest. Fest steht auch, dass sich im Zuge der Digitalisierung die Möglichkeiten demokratischer Teilhabe verändert haben. Diese Entwicklung birgt Chancen, aber auch Risiken. Wie kann der Staat die neuen Technologien demokratieförderlich nutzen? Es wird für eine zweigleisige Strategie plädiert: Einerseits brauchen wir bessere digitale Beteiligungsmöglichkeiten. Andererseits muss der Staat dabei helfen, das Internetbewusstsein der Bürger zu schärfen.
Schlagworte
Die neuen digitalen Beteiligungsmöglichkeiten firmieren unter den Schlagworten Electronic Government und Liquid Democracy. Was verbirgt sich dahinter? Electronic Government erfasst einerseits alle technologischen Beteiligungsmöglichkeiten, die der Staat anbietet. Man spricht hier von der sog. Top-down-Kommunikation. Dazu gehören beispielsweise E-Votings, die in einigen europäischen Nachbarländern – darunter Estland und die Schweiz – bereits gang und gäbe sind. Weitere Top-down-Angebote liefert etwa der Deutsche Bundestag durch Online-Petitionen oder die EU durch Online-Konsultationen. Andererseits bezeichnet Electronic Government auch alle von der Zivilgesellschaft bereitgestellten Beteiligungsmöglichkeiten. Hier ist von einer Bottom-up-Kommunikation die Rede. Bekannte Beispiele sind die Petitionsplattformen wie Campact, Change.org oder openpetition.
Zunehmend bilden sich auch Mischformen mit Top-down- und Bottom-up- Elementen. Zu diesem Typus gehört etwa die Europäische Bürgerinitiative, die mit dem Lissabon-Vertrag in Art. 11 Abs. 4 EUV Einzug in das europäische Entscheidungssystem gefunden hat. Mit der EU-Bürgerinitiative können Unionsbürger – es muss sich eine Mindestanzahl von einer Million zusammenfinden – die Europäische Kommission auffordern, ein bestimmtes Gesetzgebungsvorhaben einzuleiten. Dahinter steht ein ehrenwertes Anliegen: Traditionell ist die EU auf dem direktdemokratischen Auge blind. Das soll sich mit der Möglichkeit zur Bürgerinitiative ändern. Welche Rolle spielt hier die Digitalisierung? Eine große, denn der Erfolg einer europäischen Bürgerbeteiligung steht und fällt mit der digitalen Infrastruktur. Seit 2012 sind EU-Bürgerinitiativen möglich. Die bisherigen Erfahrungen sind aber gemischt: Lediglich zwei Initiativen haben den vorgesehenen Prozess erfolgreich durchlaufen. Hervorzuheben ist die Initiative „Recht auf Wasser und sanitäre Grundversorgung“. Dahinter steht das Ziel, alle EU-Bürger mit sauberem Trinkwasser zu versorgen und eine Liberalisierung der Wasserwirtschaft zu verhindern. Der gewünschte Gesetzgebungsvorschlag kam jedoch nie zustande.
Und was ist Liquid Democracy? Dieses Schlagwort verbindet unterschiedliche Formen der direkten und indirekten Demokratie. Dahinter steht der Wunsch, die politische Entscheidungsfindung breiter zu legitimieren. In der „flüssigen Demokratie“ kann jeder Bürger jederzeit neu entscheiden, ob er sich kompetent fühlt, Politik mitzugestalten, oder ob er seine Stimme lieber einem Experten bzw. einer Partei überträgt. Das Konzept ist nicht neu, es wird insbesondere mit der allseits bekannten Piratenpartei in Verbindung gebracht. Mittlerweile ist der Hype um die Piraten vorbei. Es lohnt sich aber, erneut über Liquid Democracy nachzudenken.
Einfach erklärt: Liquid Democracy
Risiken
Den Chancen der digitalen Partizipation stehen erhebliche Risiken gegenüber. Vor allem die Missbrauchsanfälligkeit ist „demokratiegefährlich“. Jüngst treiben sog. Social Bots im Netz ihr Unwesen. Dabei handelt es sich um Computerprogramme, die in Sozialen Netzwerken wie richtige Nutzer auftreten. Sie streuen Scheinargumente und verunglimpfen Meinungen, um politische Diskussionen zu lenken. Im US-Wahlkampf, aber auch im Ukraine-Konflikt oder in der deutschen Flüchtlingsfrage haben sie den Diskurs entscheidend mitgeprägt. Bekanntlich stammt jeder dritte Trump- Tweet von einem Social Bot. Besorgniserregend ist, dass die algorithmengesteuerte Meinungsmache mit der Realität häufig nichts zu tun hat. Trotzdem erliegen Menschen der Mehrheitsillusion. Längst sind „Alternative Facts“ Faktum unserer Zeit. Gleichzeitig sinkt – mit zunehmender Bedeutung von Einzelmeinungen – der Einfluss von Parlamenten, Fraktionen und Parteien. Der politische Willensbildungsprozess entfernt sich immer weiter von staatlichen Organen – zum Nachteil der Demokratie!
Die Ursache des Problems liegt aber auch bei den staatlichen Organen selbst: Denn bei vielen Bottom-up-Aktionen hat die digitale Bürgerbeteiligung häufig gar keine politische Wirkung. Die abgegebenen Meinungen werden entweder gar nicht oder nur halbherzig in den politischen Entscheidungsprozess eingespeist, weil es den Politikern schlicht am Willen fehlt und oftmals auch am Know-how. Es verwundert also nicht, dass die Bürgerresonanz auf digitale Beteiligungsangebote – gelinde gesagt – schwach ist.
Mit einer zweigleisigen Strategie ist den Problemen beizukommen.
Berücksichtigungspflicht
Zunächst brauchen wir partizipationsfreundlichere Strukturen, d.h. niedrigschwellige, themenspezifische Angebote, die Bürger zur Teilhabe motivieren. Außerdem müssen die digitalen Angebote verbindlicher werden, d.h. in den politischen Entscheidungsprozess eingebracht werden. Der Bürger hat ein berechtigtes Interesse daran, dass der jeweils zuständige Politiker eine digital abgegebene Äußerung berücksichtigt und ggf. ein Feedback abgibt. Insoweit könnte der Begriff einer demokratischen „Berücksichtigungspflicht“ Karriere machen. Eine so verstandene Liquid Democracy würde sich als zukunftsträchtig und praktikabel erweisen. Aber Achtung! Mit der Digitalisierung darf das Ideal der repräsentativen Demokratie nicht überdehnt werden. Die repräsentative Demokratie hat sich als beste Form zur Wahrung des Gemeinwohls erwiesen. Bewusst hat das Grundgesetz das Parlament zur „Mitte der Demokratie“ bestimmt. In diesem Sinne ist eine umfassende Bürgerbeteiligung nicht erstrebenswert, wohl aber eine maßvolle und ehrliche Mitwirkung. Grenzen sind dort zu ziehen, wo Repräsentation der Partizipation umfassend geopfert wird.
Nährboden
Mit der Technik allein ist es nicht getan. Wichtig ist die Erkenntnis, dass demokratische Teilhabe eine zweiseitige Aufgabe ist: Auf den Mitgestaltungswillen der Bürger kommt es ebenso an wie auf die staatlich-institutionellen Mitgestaltungschancen. Dafür braucht es einen sozialen und politischen Nährboden, den das Internet selbst nicht bietet. Laut der aktuellen DIVSI-Milieu- Studie von 2016 fühlen sich immer noch 30 Prozent der Befragten vom Internet „überfordert“. Ursache ist, dass die Medienkompetenz mit sinkendem Bildungsniveau ebenfalls nachlässt. Ziel muss es sein, dass sich alle Bürger in der Datenwelt zurechtfinden, vor allem Missbrauchs- und Manipulationsgefahren erkennen. Andernfalls ist das demokratieförderliche Potenzial der Digitalisierung schnell vertan. Vor allem die Schulen sollten die digitalen Technologien stärker als Bildungsinstrument verstehen. Auch bei der Integration von Zuwanderern ist die Nutzung digitaler Medien ein entscheidender Faktor. Sie kann Integrationsprozesse durch bessere Teilhabe stärken. Hier gilt allemal, dass der Staat „Kommunikationsvorsorge“ betreiben und Verständnishilfen anbieten muss. Nicht schon die technischen Möglichkeiten führen zu mehr Demokratie, sondern erst deren reflektierte Nutzung. In diesem Sinne könnte die Digitalisierung der Demokratie sogar zum Segen werden.
Dieser aktualisierte Beitrag basiert auf einem Vortrag beim DIVSI/Bucerius-Forum und wurde in Langfassung in der DÖV veröffentlicht.
QUELLENHINWEIS: www.divsi.de